Symposium Pop & Politik. Fluc, Wien, 31/05/06.
»Freedom is a sickness«: Musikalische Anschläge gegen die neoliberale Beliebigkeit im englischen Industrial bis Mitte der 1980er Jahre
Der Titel dieses Vortrags hätte auch heißen können: »Tanz den Adolf Hitler«. Das wäre aber zu plakativ, außerdem geht es hier um sozusagen echten Industrial. Denn wo sonst außer im Geburtsland der Industriellen Revolution würde es so viel Sinn machen, eine Musik zu entwickeln, die, wie es Genesis P-Orridge, Sänger der Band Throbbing Gristle, einmal formuliert hatte, daran interessiert war, die Musik aus der Sklavenzeit, dem Blues, in das industrielle Zeitalter zu transferieren. Also von der (Strom-)Gitarre zum Synthesizer. Womit die Wahl der Musikinstrumente – zumindest damals – auch politisch konnotiert war. Die deutsche Band DAF hatte mit diesem griffigen und so oft in falschen Kontext gebrachten Slogan ein Feld beackert, das ein paar Jahre vorher in England wesentlich radikaler und diskursiver aufgezogen worden war, als es DAF jemals sein konnten. Um erst gar nicht von den Irgendwie-Fascho-Posern von Rammstein zu reden, dieser Band, deren Musik höchstens für die sublimierten Allmachtsfantasien pubertierender Jugendlicher auf einem radikalisierten Jugendlagertreffen taugt. Immerhin haben Rammstein ihre letzte CD »Reise, Reise« (2005) international 1,6 millionenmal verkauft und der Major EMI war stolz...
Freedom is a sickness: Freiheit ist eine Krankheit. Oder, wie es Slavoj Žižek formulieren würde, Freiheit ist ein Syndrom. Was bringt Bands wie Test Dept. dazu, eine Platte mit dem Titel »The Unacceptable Face of Freedom« oder Throbbing Gristle dazu, eine Nummer namens »Zyklon B Zombie« aufzunehmen? Oder eben die für den Vortrag namensgebende Nummer »Freedom is a sickness«, wo doch Freiheit als das wertvollste Gut überhaupt gilt? In diesem Vortrag möchte ich ein paar Beispiele dafür bringen, welcher Notwenigkeiten es bedurfte, mit einem mit faschistischen Zeichen, Symbolen und Inhalten aufgeladenen künstlerischen Output gegen die Mittelmäßigkeit in der Musik, in der Kunst, in der Gesellschaft im Allgemeinen vorzugehen. Die Aufrüstung der Gesellschaft ist in vollem Gang, wie etwa das wegweisende Buch »Entsichert« von Tom Holert und Mark Terkessidis bereits 2002 zeigte. Und spätestens im Zuge einer neuen Weltordnung nach dem 11. September 2001 wird klar, dass eben diese Freiheit mit vehementen Mitteln als propadandistisches Tool instrumentalisiert werden kann.
Verglichen mit heutigen Standards mutet das meiste künstlerische Material des Industrial krude, offensichtlich und oft auch zu existentialistisch an. Das hat nichts mit »Härte« zu tun: Wer findet in Zeiten von Slayer etwa Black Sabbath »hart«? Aber es ist der Vorteil oder Nachteil so gut wie aller Revolutionen, dass sie früher oder später eingemeindet und damit diskursfähig werden. Auch wenn Industrial heuer genau 30 Jahre alt geworden ist, ist eine Auseinandersetzung mit dieser heftigen Entäußerung im künstlerischen Underground – zumindest im deutschsprachigen Raum – nach wie vor praktisch nicht vorhanden. Zwar gibt es gute Biografien wie etwa »Wreckers of Civilisation« von Simon Ford über TG (1999); Die meisten Bücher aber, die Industrial als gesellschaftliches Phänomen untersuchen, stammen aus den frühen 80ern. Und das, obwohl Industrial als künstlerischer Einfluss mittlerweile in diversen Galerien ausgestellt wird. Während die Kunst Industrial via Futurismus, Konstruktivismus, Aktionismus, Mail-Art und Fluxus schon längst in ihren genealogischen Diskurs übernommen hat, siehe etwa »Performance Art« von RoseLee Goldberg, sind musikalische und politische Auseinandersetzungen über weite Felder auf nerdige, kryptische oder zumindest fragwürdige Quellen verstreut. Über den Umweg klischeehafter Abziehbilder wurde diese Musik- und Kunstrichtung ziemlich in Misskredit gebracht. An dieser Stelle ein Zitat des spanischen Philosophen Georges Santayana, das Throbbing Gristle gerne benutzte: »Those who cannot remember the past are condemned to repeat it«.
Folgende Thesen habe ich für diesen Vortrag aufgestellt:
1) Die historische und spezifisch sozioökonomische Situation des frühen neoliberalen Wirtschaftssystems in England Ende der 70er/ Anfang der 80er Jahre war Grundbedingung für das Entstehen von Industrial.
2) Die künstlerische Auseinandersetzung des Industrial mit der Industriellen Revolution antizipierte als eine unter vielen Strömungen das Informationszeitalter.
3) Industrial brach mit der post-nazionalsozialistischen Tradition der Entschuldungskultur und des Bilderverbots, indem diese radikal ausgestellt wurde.
Während die Popmusik und damit ihre Kultur noch immer in dem Rock’n’Roll-Mythos vom rebellischen Outlaw verhaftet ist, wurde dieser Mythos als längst konsensfähig in die breite Massenkultur eingemeindet. Eine Teilschuld dessen sehe ich in der in den späten 80ern losgetretenen Debatte um Political Correctness, die sich schnell in ihr Gegenteil verkehrt hatte: Die Zensurschere kommt nicht mehr bei der FSK oder anderen, greifbaren oder relativ leicht zu identifizierenden Organisationen zum Einsatz, sondern im Kopf. Eben Selbstkontrolle, dis-lokalisiert und unsichtbar. – Was alles bereits bei Foucault aus Mitte der 70er nachzulesen ist. Ein sozioökonomisches Update lieferten 2000 Antonio Negri und Michael Hardt mit ihrer Studie »Emipre«, in der sie die mittlerweile im globalen Kontext agierenden, wirtschaftlichen Verflechtungen als exterritorialisierte Hegemonialmacht darstellten und auf die Umlagerung der Macht weg von Staats- hin zu Wirtschaftsystemen darlegten. In weiterer Folge geht es darum, ein adäquates Regelwerk für die neoliberale »Fit-for-Fun«-Informationsgesellschaft zu generieren, deren nihilistisches Chaos und Paranoia mittlerweile in den großen Institutionen nistet, Devianzen als gern gesehene Kollateralschäden firmieren, weg vom individuellen, hin zum kollektiv verstandenen »body as battlefield«. Darin liegt vielleicht eine der Hauptschwierigkeiten aktueller Kunst: Die Zentren der Macht, der Feind, etc. konnten sich abstrahieren, sind scheinbar unsichtbar geworden.
Da hatten es die Bands in den späten 70ern, frühen 80ern leichter. Das heraufdräuende neoliberale Zeitalter, als erste Industriestaaten exemplifiziert in den USA durch die »Reaganomics« und im UK durch den »Thatcherismus«, und die ersten Indizien einer Medien- und Informationsgesellschaft zeitigten zusammen mit dem heftigen Input, den Punk hinterlassen hatte, eine toxische Mischung. Hier wurde unter dem Eindruck der staatlichen Kontrolle ein absichtlicher Kontrollverlust eingeübt, sei es durch die Schaffung temporärer autonomer Zonen, sei es durch Körperekstase wie Tanzen oder sich selbst zu verletzen, sei es durch eine bisher unerhörte Musik oder Kunst. Die Punk-Ikone Lydia Lunch hatte über ihre sadomasochistischen Erfahrungen im Pornofilm als Befreiungsschlag gegen das aufoktroyierte Körperregime in dieser Zeit einmal gemeint: »It’s better to feel pain than to feel nothing.« Der von diesen Bands ausgeführte »sonic warfare« lässt sich – wie es der französische Nationalökonom Jacques Attali formulierte – als Riss (»rapture«) im gesellschaftlichen System lesen, der auf zukünftige sozioökonomische und politische Verhältnisse verweist, Musik somit diese Verhältnisse antizipiert. (Ein Riss, an dem sich auch etwa DAF und besonders die slowenische Band Laibach abarbeiteten.) Attali schreibt 1985: »It is necessary to imagine radically new theoretical forms, in order to speak of new realities. Music, the organisation of noise, is one such form. It reflects the manufacture of society; it constitutes the audible waveband of the vibrations and signs that make up society.«[i]
Cosey Fanni Tutti, ein Bandmitglied von Throbbing Gristle, drückte es in einem Interview mit »de:bug« so aus: »Eines der stärksten Motive war Frustration und Zorn über die unterwürfige Haltung, die Kulturschaffende einnahmen. Es spielte natürlich auch eine Rolle, dass das Klima in den 70ern in Großbritannien extrem politisch aufgeladen war. Es gab ständig Krawalle, Streiks und Unruhe im Land. Wir hatten das Gefühl, dass unsere Arbeit auch politisch war: Wir wollten die Vorstellungen darüber, was Musik ist, niederreißen.«[ii]
Oft als chaotisch oder nihilistisch verschrieen, führ(t)en diese Attacken auf die Hörgewohnheiten zu einer exzessiv überhöhten Selbstaufgabe, die den bewussten Kontrollverlust als Regulativ auf die Kontrollgesellschaft einübte. Diese Musik bezog eine ihrer stärksten Legitimationen daraus, dass die Elterngeneration einen Abwehrkampf gegen alles und jeden geführt hatte, was nur annährend den Verdacht hätte nähren können, faschistisch zu sein. Während sowohl in der alten wie in der Jugendkultur alles auf De-Eskalation programmiert war: einerseits Regression und aktives Vergessen und andererseits die als extrem dröge empfundenen Errungenschaften der Hippies – wuchs eine neue Generation von Künstlern heran, die praktisch aus doppeltem Antrieb heraus gegen die auf breiter Front gefahrene Politik der Verdrängung anzugehen hatte. Somit wird auch klar, dass dieser mit faschistischen Zeichen aufgeladene Kampf eigentlich ein »antifaschistischer« war. Aus heutiger Perspektive könnte man die Industrial-Musik wahrscheinlich als »sonically incorrect« bezeichnen. Was Georg Seeßlen über DAF schreibt, kann man in diesem Zusammenhang auch auf die hier besprochenen Bands anwenden: »[DAF] ließ nie genau erkennen, was noch Parodie und was schon spielerische Aneignung faschistischer Fantasien war. [...] Sie waren die Kinder des Bilderverbots und der Entschuldungskultur. Aber sie hatten auch den historischen Pakt der Jugendkulturen mit dem Projekt der linken Weltverbesserung aufgekündigt, mit Love, Peace und Happiness.«[iii]
Der britische Autor Stuart Home beschreibt in seinem Abriss über avantgardistische Kunstströmungen seit den 50ern einige Schnittpunkte zwischen einer Avantgarde-Tradition und Punk und erdet ihn dezidiert in einem »proletarian movement«. Er schreibt: »Punk was a politics of energy with a bias towards expressing itself in the rhetoric of the left, but which more than occasionally assumed the voice of the right.«[iv] Durch den Einfluss der Punk-begeisterten Kunststudenten wurde eine historische Komponente eingezogen, die bis zu den Futuristen und den Dadaisten zurückreichte. Mark Sinker, englischer Musikjournalist, fasste zusammen (186): »Futuristic music was to be a sensual exploration of Noise as a continuum of detail, structured by contrast and juxtaposition.«[v] Die aus diesen Strömungen entlehnten Taktiken und Ideen wurden besonders für den Industrial inkorporiert. War der Futurismus nicht schon in seiner aktiven Phase vielerorts als »protofaschistisch« eingestuft worden? So wurde dem Fabrikslärm, der Collage und einer expressionistischen Weltsicht gehuldigt, zu der sich die »Ideologie« von Geschwindigkeit, Massenproduktion und Mediendesavouierung gesellte. Das Wissen um diesen historischen Dechiffrierungskorpus zeitigte notwendigerweise eine Abkehr vom Punk, der mit 3 Akkorden die Welt erklären wollte. Prototypisch für den Industrial kam eine weitere historische Komponente dazu: Die als inhuman empfundenen, den Kapitalismus zementierenden ökonomischen Richtungen des Taylorismus und besonders des Fordismus, exemplifiziert an der Fließbandarbeit, wurden mit der fabriksmäßig betriebenen Tötungsmaschinerie des 3. Reichs synchronisiert. Mit den hämmernden Beats aus den billigen Rhythmusinstrumenten erfuhren Futurismus und Dadaismus –am besten exemplifiziert an Cabaret Voltaire – ein analoges Update. Test Dept. dagegen setzten – ähnlich wie die Einstürzenden Neubauten – mit ihrer tribalistischen Stahlpercussion auf eine nochmalige Brechung und projizierten diese in eine archaische Vorzeit. Indes war dieser Mythos des Martialischen, praktisch eine der Grundbedingungen des nationalsozialistischen Körperkults, mit einer konstruktivistischen Ikonografie aufgeladen.
Oberflächlich gesehen, roch Ende der 70er so ziemlich alles nach Freiheit, Grenzüberwindung, Verbrüderung. Disco, HipHop und besonders Punk sorgten für ziemlich radikalste popkulturellen Befreiungsschläge. Aber es waren eben nicht die »Holidays in the sun«, wie die Sex Pistols krakeelten. Denn schon kurz später sollte sich diese kreative Spielwiese an der Realität und an sich selbst vaporisieren: Die Anfang der 80er in England herrschende Stimmung lässt sich treffender mit einem Song sozusagen von der B-Seite von »Holidays« charakterisieren: »Belsen was a gas« (1978), das mit »Zyklon B Zombie« (Throbbing Gristle, 1980) eine brachiale Neuverortung erfuhr. Diese Single musste wiederholte Male neu gepresst werden, nachdem sie mehr als 20.000mal verkauft worden war. Man beachte die gesamplete Ankunft eines Zuges im Regen am Ende der Nummer...
Dieser heftige Anschlag auf Bauch, Beuschl und gute Sitten lässt uns mit einem ziemlich mulmigen Gefühl zurück. Keine Glorifizierung des Martialischen, wie sie so gerne von so vielen Bands durchgeführt wird, sondern eine Identifikation mit dem Opfer, in all der ungeschönten Grausamkeit. Keine Melodie, in die man sich verlieren könnte sondern ein treibender, stampfender Rhythmus, der auf die Tötungsmaschinerie der Gaskammern verweist. Somit lässt sich als Indiz festhalten: Es war genau jene Freiheit, die TG zu zertrümmern suchten, die den Millionen Nazi-Opfern in Auschwitz versprochen worden war: »Arbeit macht frei«. Diese Pervertierung der Freiheit konnte nur mit einer nochmaligen Pervertierung gesühnt werden.
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An dieser Stelle einige kurze Worte zu den Biografien der Bands Throbbing Gristle, Test Dept. und Cabaret Voltaire.
TG wurden 1976 von den Kunststudenten Genesis P-Orridge und Cosey Fanni Tutti und den beiden Elektronikmusikern Peter Christopherson und Chris Carter in London gegründet. Die Band existierte nur bis 1981 und hinterließ bloß 5 offizielle Platten, die alle auf ihrem eigenen Label Industrial Records veröffentlich wurden sowie eine Reihe von Bootlegs. Sie gelten als die Begründer der Industrial Music. Sie verwendeten als Logo einen Blitz, der gleichzeitig für Starkstrom als auch eine Abwandlung der SS-Rune gelesen werden konnte, auf vielen Covers war der Schornstein von Auschwitz zu sehen. Nicht nur mit ihren bruitistischen Kracheskapaden sondern auch mit einer Art elektronischer Proto-Disko-Musik wurden sie zu einer der einflussreichsten Underground-Bands und inspirierten Gruppen wie die Einstürzenden Neubauten, Nine Inch Nails, Ministry und große Teile der späteren Electronic-Body-Music, einem der Vorläufer des Techno.
Cabaret Voltaire: Ihr Name geht auf den Gründungsort des Dadaismus, das Züricher Café Cabaret Voltaire zurück. Chris Watson, Steve Mallinder und Richard H. Kirk produzierten ab 1974 in Sheffield Klangcollagen, ihre ersten Platten wurden auf Rough Trade und auf Industrial veröffentlicht. Im Gegensatz zu TG war die Band praktisch von Anfang an mehr an einer Diskussion um Medien und ihrer Interaktion mit Macht interessiert. Cabaret Voltaire schlossen gesamplete News-Reels mit maschinell geerdeten post-Funk-Beats kurz und sangen über die Baader-Meinhof-Gruppe oder produzierten eine ganze LP gegen amerikanische Allmachtsfantasien (»The Voice of America«, 1980). In den späten 80ern wandte sich die zum Duo geschrumpfte Band dem Dance-Underground zu, den sie zu dieser Zeit bereits nachhaltig geprägt hatte.
Die fünf Mitglieder der 1982 gegründeten Band Test Dept. kamen aus den Londoner Docklands und entstammten einem Redskin-Mileu. Die als Kollektiv auftretende Band ist sicherlich die politischste und »englischste« dieser drei Bands. Anlässlich des großen Minenarbeiterstreiks 1984/85 brachten sie die Platte »Shoulder to Shoulder« heraus. Darauf nahm die Band Streikreden und Chorgesänge der Kohlebergwerker im Revier South Wales auf und beteiligte sich an einer der größten Streikaktionen des industriellen Englands. Die Band paraphrasierte besonders eine konstruktivistische und kommunistische Ikonografie. Nachdem sie sich gegen Ende der 80er intensiv mit Bühnenperformance auseinandergesetzt hatte, waren Test Dept., ähnlich wie Cabaret Voltaire, im englischen Dance-Underground aktiv.
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England, zwischen Ende der 70er und Mitte der 80er Jahre, in ein paar Spotlights zusammengefasst:
1977 war die Arbeitslosigkeit in England auf 1,3 Millionen gestiegen, soviel wie 1939. Der Winter des folgenden Jahres sollte als »Winter of Discontent« in die Geschichtsbücher eingehen, als es zu ausgedehnten Streiks der Gewerkschaften kam. In der Folge musste Premier James Callahan von der Labour Partei zurücktreten. Ihm folgte 1979 Margaret Thatcher.
1978: Die Debüt-Platte »2.nd Annual Report« der Band Throbbing Gristle brach mit ihren kruden Noise-Wällen in ein gesellschaftliches Szenario ein, das gefüllt war mit Agitation von linker und rechter Seite, von Streiks und Propaganda. Praktisch auf ihrem Höhepunkt brachte die Band die Nummer »Discipline« heraus, eine Art Blueprint sowohl für die Band wie für die herrschende Stimmung im Land. In selbst designten Tarnanzügen forderten sie ein: »We need some discipline in here!« Wo sonst als vor dem ehemaligen Berliner Propagandaministerium entstand das Cover zu dieser 12’’ von 1981. An diesem symbolträchtigen Ort kulminierten die Referenzrahmen der Band. Die in einer agitatorischen Strenge vorgetragenen Lyrics wurden in dieser Live-Nummer sukzessive von einem schier ohrenbetäubenden Lärm überlagert, ein Rhythmus, der durchaus tanzbar war und dazu die für TG typische Inversion der Inversion: Die nur wenig entschärfte Diktion der Nazi-Rhetorik wurde sinnigerweise auch über Manchester losgelassen, dem Geburtsort der industriellen Revolution. Über fast 10 quälende Minuten ist nun ein Live-Videomitschnitt zu sehen, in dem die menschlichen Verschleißteile der industriellen Revolution als augenscheinliche Katharsis herausgekotzt werden, in dem TG sich einen brachialen Exorzismus mit sich selbst und dem Publikum liefern. Von dort gab es kein Zurück mehr. Konsequenterweise löste sich TG im selben Jahr auf.
Der für England erfolgreiche Falklandkrieg 1982 mochte zwar zur Wiederwahl Margaret Thatchers maßgeblich beigetragen haben: Für die vielen Engländer, die sich mit einem massiven Sparprogramm besonders bei den Sozialausgaben konfrontiert sahen, war es indes nicht akzeptabel, einen Krieg zu führen, der 10.000km vom Mutterland entfernt stattfand. Durch starken Rückhalt in der Bevölkerung und im Parlament konnte Thatcher den einjährigen Bergarbeiterstreik im März 1985 für sich entscheiden. Damit ging eine drastische Reduzierung der Rechte der Gewerkschaften einher. Die Haltung Englands gegenüber der polnischen Solidarnosc-Bewegung war gespalten. Denn einerseits war die Arbeiterbewegung und ihre Gewerkschaften noch stark im englischen Selbstverständnis verhaftet, andererseits fiel eine Fraternisierung mit dem kommunistischen Polen von offizieller Tories-Seite nicht gerade leicht. Test Dept. beschrieben in einem Interview 1987 die Situation so: »They can support Solidarity by saying that it’s the Communists that are against them. And here they can put down the unions because they say that the Communists are behind them, too. In the early 80s the British government were openly supporting Solidarity, praising them and waving their flag. It was front page news – they had extended newscasts devoted to the Poland issue every day, and now it’s suddenly forgotten and buried.«[vi] – In dem nicht ganz pathosfreien, indes sehr eindringlichen Track »Shockwork« auf »Shoulder to Shoulder« exklamieren Test Dept.: »Justice to the miners, down with the police state! Victory for the miners, victory to all the working people!« – Daran anschließend die Nummer »Statement« von »Unacceptable Face of Freedom« als eine Art Verdichtung der Ereignisse des Bergarbeiterstreiks, konterkariert mit einer etwas elaborierteren und in einen breiteren gesellschaftlichen Rahmen gestellten Auseinandersetzung mit der Thematik Staat und Machtausübung.
Cabaret Voltaire dagegen waren wahrscheinlich die modernste Band der drei. Sie erkannten bereits sehr früh die Wirkung des Bildmediums in dem von vielen Industrialbands etwas pathetisch als »Information War« bezeichneten Diskurs um Massenkommunikation und den Einfluss der Bildmedien darauf. Das Video »Walls of Jericho« von 1981 ist eine Art Sammelsurium von Bildtabus. Aus heutiger Sicht ziemlich krude zusammenmontiert, ging es vor allem darum, ein rhythmisiertes Bilderarsenal zusammenzustellen. Dieses Video hat per se nur wenig mit den vorher dargestellten Beispielen linker oder rechter faschistischer Ästhetik zu tun. Vielmehr fand hier eine wesentlich unterschwelligere Okkupation des Körpers und der Sinne statt, die indes genauso vehement von der nuklearen Krise des Kalten Kriegs kündigt wie »Discipline« oder »Shockwork« davor. – Vorher noch die Nummer »Do the Mussolini Headkick«, einer der frühesten Tracks von Cabaret Voltaire von 1978. Mit einer seltsamen Mischung aus ein paar schrillen Synthesizer-Klängen, einer verzerrten Stimme und einem für die Band emblematischen Beat entstand neben »Baader Meinhof« wenig später die wahrscheinlich offensichtlichste politische Nummer der Band. Sie ist praktisch das Gegenstück zu DAFs »Tanz den Mussolini« von 1981. Hier findet allerdings eine bewusste Umdeutung oder Rekontextualisierung des faschistischen Gestus statt, indem – weit weniger offensichtlich – die Nummer mit einer Melodie daherkommt, die mehr als harmlos scheint.
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So lassen sich einige politisch relevante Tendenzen im frühen Industrial bei Bands wie Throbbing Gristle, Cabaret Voltaire und Test Dept. in eine Entwicklungslinie bringen, die mit existianzialistischer Gewalt den Körper in Frage stellte, ihn als ein Schlachtfeld territorialisierte, veritable Medien-Guerilla betrieb und mit bisher nie dagewesener Heftigkeit und vor allem Konsequenz versuchte, musikalisch, visuell und performativ der herrschenden politischen Situation Herr zu werden. Es galt, gegen das faschistische Erbe der Elterngeneration und die gesellschaftliche/ kulturelle/ künstlerische Vernichtungsmaschinerie anzugehen. Mit der unbändigen Schaffung, Bereitstellung und Dechiffrierung von medialen Inhalten, also mit der Gründung eigener Labels und Vertriebsstrukturen, jeder Menge Texten, Videos und Postern sollte die »Do it yourself«-Politik des Punk für das Medienzeitalter nutzbar zu machen, von großen Firmen und Organisationen unabhängig zu sein, ein Netzwerk aufzubauen und eine Gegenöffentlichkeit zu etablieren. Der englische Musikkritiker Brian Duguid fasste es 1995 so zusammen: »Throwing the establishment’s own excrements back into the throat is sure to result in a nauseous reaction. For groups intending on outraging society, fascism was a powerful weapon. [...] with methods you had for doing so were those that the authorities had themselves taught you.«[vii]
Industrial erklärte den Medien einen »Information War«. Aufgerieben zwischen der Überwindung der Hinterlassenschaften der faschistischen Elterngeneration und den kommunikativen Neupositionierungen des heraufdräuenden Massenmedienzeitalter, kamen diesen Bands die analogen Elektronik-Musikmaschinen zugute, mit denen die Funksignale einer im Popkontext längst vergessenen Zukunft von Futurismus, Konstruktivismus und Geräuschkunst eingefangen und tanzbar (!) gemacht wurden. Die Politik der Maschine synchronisierte sich einmal mehr mit der des Körpers, der Körper zur aktionistischen Kampfzone ausgeweitet. Nicht umsonst wurden die Materialaktionen des Wiener Aktionismus als körperinhärente Inspiration für Industrial zitiert, da diese das Stigma des »Volkskörpers« hinsichtlich Kollektivität und Physikalität als Tabubruch in der Entschuldungskultur der späten 60er Jahre radikal instrumentalisierten. Was an sich klar auf der Hand liegt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die hier beschriebenen Bands großteils aus einem Performance-Kontext kamen, der als Interventionen im öffentlichen Raum meist den eigenen Körper zum Ziel hatte. Auch klar, dass praktisch die einzige diskursfähige oder zumindest referenzielle Band für den Industrial Velvet Underground waren, deren Noise-Wälle und devianten Sex-Transgressionen mit den Erfordernissen technologisch vermittelter Musikpraktiken kompatibel gemacht wurden. Was nicht heißt, dass Joy Division hierbei ausgelassen werden soll. Viele Überschneidungen mit dieser sehr einflussreichen Band aus Manchester wären zu erörtern, die genug Stoff für einen weiteren Vortrag liefern würden.
Nur wenige bemerkten die humoristische Erdung dieser kathartischen Exzesse. Während im »The Great Dictator« (1940) Charlie Chaplin seiner Hitler-Persiflage Hynkel noch die Worte »Die Freiheit ist hassenswert« in den Mund legte, generierten TG gut 40 Jahre später eine durch William S. Burroughs u.a. inspirierte Decodierung der Sehnsuchtsprojektion Freiheit in Richtung »Freedom is a sickness«.
Freiheit als Krankheit, als Syndrom einer Gesellschaft, die für ihre systematische Krankheit zwecks Machterhaltung meistens nur kranke Agitationen bereitstellt. Die Frage stellt sich natürlich, ob es klug, sinnvoll etc. ist, Gewalt mit Gewalt zu konfrontieren. Mit der von diesen Bands ziemlich offen vorgetragenen Nazi-Rhetorik war es klar, dass diese Nazi-Sympathisanten anziehen würde, denn nicht jeder tut sich die Mühe an, die vielen kleinen Fährten und Spuren zu decodieren, die über das künstlerische Output wie eine Art makroskopischer Rahmen gelegt wurden. Für die Bands damals schien das ein wesentlich effizienteres Vorgehen als sich um subliminale Strategien zu bemühen. Diese rüde Haltung des »Schau her, so bin ich. Love or leave it« ist natürlich auch eine, die einem faschistoiden Gedankengut zuspricht. Weswegen diese Bands auch als »unzugänglich« galten/ gelten, weil sie, die produktionstechnische Freiheit im Rücken, nicht an Major-Plattenverträge gebunden waren, in mehr oder weniger politische Weise aktiv waren, diese Statements in Musik und multimediale Kunst umsetzten und so nicht nur verstörten sondern heftig polarisierten.
Das hat nichts damit zu tun, dass sie laute oder »extreme« Musik machten. Im Gegenteil: Attali weist nach, dass seit der Antike jede Musik, so sie revolutionär ist, als »Noise« empfunden wird, der die hegemoniale Ordnung der Gesellschaft durcheinander bringt, für semantisches Chaos sorgt, weil sich ökonomische und musikalische Strömungen seit jeher simultan entwickeln. Zur gleichen Zeit, also Anfang der 80er, trieb auch die unabhängige Video- und Super-8-Szene einmal mehr ihr »Unwesen«. Alle drei hier beschriebenen Bands nutzten den visuellen Kanal, da klar war, dass Fernsehen oder zumindest visuelle Informationsverarbeitung eine stärkere, weil direktere Verbindung zum Publikum herstellen konnte. Industrialmusiker als ziemlich klassische Bilderstürmer. Weshalb bei Live-Konzerten oft Ausschnitte aus Avantgarde-Filmen, gegengeschnitten mit KZ-Filmen oder Euthanasie-Videos mit militärischen Lehrfilmen zusammenmontiert wurden. John Fiske schreibt in »Media Matters«: »The saying ‘the camera cannot lie’ is inaccurate and out of date but not stupid, for it does point the key differences between words and photography in terms of the immediacy and totality of the social control that can be exerted over them.«[viii]
Diese Vorboten des Informationszeitalters wurden durch den aktuellen Komplex des »Empire« mit neuer politischer Weltordnung und neoliberalem Grundtenor einmal mehr aktualisiert. Während die durchschnittliche Popmusik ja meist daran interessiert ist, den Hörer ruhig zu stellen, sollten mit diesen akustischen und visuellen Manifestationen Anschläge auf das alte System verübt, die Zuhörer echt rangenommen und an die Grenzen des Erträglichen gebracht und – wie bei jeder nachhaltig ernstzunehmenden Kunstströmung – an den Grundfesten der Gesellschaft gerüttelt werden.
Diese Brechung und Decodierung ist einer jener Vorläufer der Aneignung politischer Inhalte auf der »Spielwiese« namens Pop, auf der alles erlaubt zu sein scheint, wenn etwa heutzutage T-Shirts mit Images von z.B. Che Guevara oder der RAF in »modebewussten« Klamottenläden um die Ecke zu haben sind.
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Selektive Leseliste/ further reading:
Heinrich Deisl: 10 auf der nach oben offenen VU-Skala. Sonische Symptome: Noise. In: skug – Journal für Musik. #64, 09-11/05, Wien, 24f.
Gilles Deleuze/ Felix Guattari (1986): Nomadology. The War Machine. Semiotext(e). University of Minnesota Press/ Columbia University, New York.
Simon Dwyer: From Atavism to Zyklon B. Genesis P-Orridge& Thee Temple of PsychicYouth. In: Simon Dwyer [Ed.](1995): Rapid Eye 1. Creation Books, London.
Simon Ford (1999): The Wreckers of Civilisation. The Story of COUM Transmissions& Throbbing Gristle. Black Dog Publishing, London.
RoseLee Goldberg (2001): Performance Art from Futurism to the Present. Thames& Hudson, London.
Michael Hardt/ Antonio Negri (2003): Empire. Die neue Weltordnung. Campus, Frankfurt/ New York.
Dick Hebdige (1979/ 2005): Subculture. The Meaning of Style. Routledge, London/ New York.
Terry Wilson/ Brian Gysin (2001): Here to go. Brian Gysin. Preface& additional text: William S. Burroughs. Creation Books, New York.
Tom Holert/ Mark Terkessidis (2002): Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. Kiepenheuer& Witsch, Köln.
Robert H. King [Ed.](1993): Total. Vol. 2: The Body. Total Press, Glasgow.
Greil Marcus (1992): Lipstick Traces. Von Dada bis Punk: Eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Rowohlt, Reinbek / Hamburg.
Allucquère Rosanne Stone (1995): The War of Desire and Technology at the Close of the Mechanical Age. MIT Press, Cambridge, Mass./ London.
V. Vale/ Andea Juno (1992): Re/Search: The Industrial Culture Handbook. #6/7. Re/Search Publications, San Francisco.
http://www.throbbing-gristle.com/
http://brainwashed.com/cv
http://www.testdept.org.uk/
http://media.hyperreal.org/zines/est/articles/preindex.html
http://en.wikipedia.org/wiki/Industrial_music
www.wildcat-www.de/wildcat/70/w70industrial.htm
[i] Jacques Attali (1985/ 2002): Noise. The Political Economy of Music. Theory and History of Literature, Vol. 16, University of Minnesota Press, Minneapolis/ London, 4.
[ii] Felix Denk: Throbbing Gristle. 5/07/04. www.de-bug.de/texte/3322.html
[iii] Georg Seeßlen (1994): Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur. Ed. Tiamat, Critica Diabolis 47, Berlin, 175.
[iv] Stuart Home (²1991): The Assault on Culture. Utopian Currents from Lettrisme to Class War. AK Press, Sterling, 81.
[v] Mark Sinker: Destroy all music. The Futurists: Art of Noises. In: Undercurrents. The Hidden Wiring of Modern Music. Continuum, London, 2003, 186.
[vi] Test Dept. In: Charles Neal (²1992): Tape Delay. SAF, London, 166.
[vii] Brian Duguid: The Unacceptable Face of Freedom. 1995. http://media.hyperreal.org/zines/est/articles/freedom.html
[viii] John Fiske (1994): Media Matters. Everyday Culture and Political Change. University of Minnesota Press, Minneapolis/ London, 222.
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