As a follow-up to Alexei Monroe's GL article we publish this German interview.
GERECHTIGKEITS LIGA
Till Brüggemann im Gespräch mit Alexander Nym
„GERECHTIGKEITS LIGA ersetzen mytho-poetischen und romantischen Nihilismus durch einen introvertierteren und neurotischeren Ausblick. Es ist dies die paranoid-kritische Art zu urteilen und zu handeln.“
Dieses Zitat enthält keine absichtliche Referenz an Salvador Dalí, aber sie kann auch nicht schaden, schließlich erforscht die GERECHTIGKEITS LIGA seit inzwischen mehr als einem Vierteljahrhundert Träume, Ideen und Halluzinationen, die dem Surrealismus ebenso artverwandt sind wie dem Schamanismus und der Magie – der Magie der Klänge und Rhythmen.
1981 von Till Brüggemann und Frank Ströpken in Bremen gegründet, war das düster-experimentelle Projekt der beiden eines der ersten in Deutschland, die die Energie des Punk mit elektronisch disziplinierter Maschinenkraft kombinierten und damit ihre Hörerschaft in unbekannte, dunkel-bedrohliche Klanggefilde lockte. Vor GERECHTIGKEITS LIGA war Till Brüggemann als genialer Dilettant in der Punkband E-605 als Gitarrist und Sänger zugange gewesen, zusammen mit einem gewissen Hank am Bass, der später für eineinhalb Jahre ebenfalls bei G.L. mitwirken sollte.
Ströpken verließ das Projekt um 1982/83, und Brüggemann setzte in den folgenden Jahren die Arbeit mit anderen Musikern fort. Zusammen mit den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN zählen GERECHTIGKEITS LIGA zu den bekanntesten Industrial-Pionieren aus deutschen Landen. Das blieb allerdings nicht lange so, denn nach einem Umweg über Bremen und Berlin (Besetzungsänderungen inbegriffen) zogen die LIGA-Mitglieder 1985/86 dauerhaft nach London. Dort verliefen sich die Spuren in den 90er Jahren, und es blieb lange ruhig um das ominöse Projekt, bis es im neuen Millennium mit der Wiederveröffentlichung der klassischen Vinylscheiben The Games Must Go On und Hypnotischer Existenzialismus sowie mehreren Samplerbeiträgen wieder auferstand.
Wie bist Du zur Musik/zum Klang gekommen?
Bevor ich mit dem GERECHTIGKEITS LIGA-Projekt anfing, hatte ich in zwei Punkbands als Gitarrist gespielt. Ich war ein totaler Dilletant und hackte auf dem Instrument eigentlich nur herum. Meine Mitmusiker hatten auch andere Projekte am laufen, und somit war es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns trennten um in „künstlerischer“ Hinsicht unsere eigenen Wege zu gehen. Ich war sowieso schon seit einer Weile vom Punk-Sound desillusioniert und suchte nach anderen musikalischen Alternativen. GERECHTIGKEITS LIGA sollte eine Plattform für die neurotischen Obsessionen ihrer Mitglieder sein, was auch gelungen zu sein scheint, wenn ich mir die Aufnahmen aus den frühen 80ern so anhöre...
Wann und unter welchen Umständen erschien Deine erste Veröffentlichung?
Meine bzw. unsere erste Veröffentlichung mit dem Titel Scenes we’d like to see erschien 1982 als Tape: 50 Stück Auflage mit 4-seitigem Begleitbuch, auf dem schwarz-weiss Kopien von Archivfotos deutscher SS-Ärzte abgedruckt waren, aufgenommen nach Versuchen an lebenden Menschen. Der Titel war natürlich höchst ironisch, was aber z.T. völlig missverstanden wurde und uns in der Bremer Punkszene den Ruf eintrug, Neonazi-mäßig drauf zu sein – was völlig daneben war!
Ein ständig auftretendes Problem. Was hat Dich damals veranlasst, die KZ-Bilder für das Tape zu verwenden, und was bekam man darauf zu hören?
Es frustrierte mich zur damaligen Zeit sehr, dass die deutsche Vergangenheit doch offensichtlich immer noch von vielen Bundesbürgern bewusst verdrängt wurde. Diese Tatsache war ein wesentlicher Ausgangspunkt, der uns letztendlich dazu bewegte, dem Tape-release diesen eigentlich unmissverständlichen Titel zu geben.
Dazu inspiriert hatte mich der Schriftsteller Primo Levi mit seinem Buch Ist das ein Mensch – Erinnerungen an Auschwitz. Er wurde im Jahre 1943 als 24-jähriger in Italien von faschistischen Truppen festgenommen und nach Auschwitz deportiert, wo er 1945 von den Russen befreit wurde. Auf dem Tape, das wir im Eigenverlag produzierten, veröffentlichten wir Soundcollagen, die sich aus Tape-loops, Synthesizersounds wie etwa basslastigem Rauschen, sowie Metallsounds, die von field recordings stammten, zusammensetzten. Zum Teil wurden auch konventionelle Instrumente mit Verzerrern eingesetzt.
Wie ging’s weiter mit GERECHTIGKEITS LIGA?
Als ich 1983 volljährig wurde, begann ich mit einem neuen Kollegen am GERECHTIGKEITS LIGA-Projekt vollzeitmäßig weiterzuarbeiten. Der „Neue“ war der Bremer Thomas Furch, Herausgeber eines Punk-Zines. Wir waren aus praktischen Erwägungen zusammen gezogen und waren in einer Musikkooperative mit anderen Musikern und Bands zusammen, so dass alle das jeweils vorhandene Equipment nutzen konnten. Damals probten wir täglich in einem modernisierten Weltkriegsbunker, der im Fall eines Atomkrieges zwar keinerlei Schutz geboten hätte, aber trotzdem vom Bremer Senat zum Atomschutzbunker deklariert worden war. Diesen Bunker teilten wir uns mit ein paar anderen Bands. Wir fingen mittags an zu proben, um den anderen Gruppen zuvorzukommen, wobei Thomas sich im Lauf der Zeit zunehmend auf Klangcollagen konzentrierte, während ich mich um die Rhythmen und Strukturen kümmerte. An anderen Tagen verlagerte sich die Arbeitsaufteilung genau andersherum. Je nach Stimmung und Intuitionen. Ich hatte mich nun endgültig entschlossen, unsere Sound- sowie Film- und Videoarbeit auf eine professionelle Basis zu stellen. Wir gründeten unser eigenes unabhängiges Label, welches sich Zyklus Records nannte. Nach der ersten Tapeveröffentlichung von Scenes we’d like to see von 1982 waren 2 oder 3 Live-Mitschnitte über unser Label auf Tape veröffentlicht und per mailorder verkauft worden. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr G.L Tapes und auch Videos über unser Label verkauft.
Uli Rehberg, der heute unter seinem Pseudonym Ditterich von Euler-Donnersperg bekannt ist, organisierte mit WHITEHOUSE und uns ein Konzert in Hamburg. Ein wirklich gutes set-up, zu dem allerdings leider nur sehr wenige Gäste kamen... Trotzdem gingen wir mit der Einstellung einer Punkband an den Gig heran; es war sehr aggressiv, druckvoll, und um einiges härter als das, was es von uns auf Platten bzw. Tapes gab. Das lag u.a auch daran, das ich wie ein metaphorischer Spiegel agierte, indem ich die Stimmung des Publikums in mir verarbeitete und diese mit mehrfacher Kraft verbal zurückschleuderte. Uli war von unserem Live-Sound so beeindruckt, dass er in Erwägung zog, eine Platte mit G.L.-Studioaufnahmen auf seinem Walter Ulbricht Schallfolien-Label zu veröffentlichen, falls diese dem live-Standard entsprechen würden. Zwar hatten wir bisher in keinem Studio gearbeitet, fanden aber nach kurzer Zeit ein 4-Spur-Studio in der Nähe von Bremen und machten uns an die Arbeit. Da es unsere erste Studiosession war, hörte sich das Ergebnis auch dementsprechend mies an. Uli verlor beim Anhören auch seine anfängliche Begeisterung, und wir entschieden uns schließlich, ein billiges 8-Spur-Studio in London zu finden, um das gesamte Material aufzuarbeiten.
Warum ausgerechnet London?
Einige Monate zuvor waren wir das erste mal nach London gereist und hatten dort Graeme Revell von SPK, sowie Dominik Guerin und Colleen Ford (beide von TWIN VISION) kennen gelernt. Dominik war auch an anfänglichen SPK-Aufnahmen beteiligt, und er und Colleen arbeiteten damals an all den SPK-Videos und –Backroundfilmen. Außerdem machten wir die Bekanntschaft von Brian Williams (LUSTMORD), sowie etlichen anderen Musikern. Durch diesen ersten London-Besuch hatten wir auch einen Studiobesitzer und Musiker namens James Braddel kennen gelernt. Als wir wieder in London ankamen, machte uns James ein einigermaßen gutes Studioangebot, und wir fingen an das 4-Spur-Master in seinem 8-Spur-Studio zu überarbeiten und neu zu mastern. Nachdem wir nach Deutschland zurück kamen, konnten wir Uli trotz der Überarbeitung nicht mehr für eine Veröffentlichung auf seinem Label begeistern, also entschlossen wir uns, Geld zu leihen und die vier aufgenommenen Tracks auf einer 12"-Maxi auf unserem Zyklus-Label herauszubringen. „Das Büro“, damals ein guter deutscher Vertrieb in Düsseldorf, zeigte sofort Interesse am Vertrieb. Die GERECHTIGKEITS LIGA-12" wurde dann als einmalige 500er-Auflage veröffentlicht.
Wer ist GL heute, und wie hat sich Deine Herangehensweise ans Sound produzieren verändert?
GL besteht heute aus zwei Personen: Mir und Ragnar aus Berlin. Wegen der räumlichen Distanz zwischen Berlin und London ist das nicht die praktischste Lösung, aber dank der heutigen Studiotechnik sind solche Probleme bei Zusammenarbeiten eher zweitrangig. Was hat sich noch geändert? Anfang der 80er Jahre arbeitete ich für die Tape-Veröffentlichungen mit sehr minimalistischen Mitteln wie vorbereiteten Soundcollagen von Tapes, die durch Gitarrenverzerrer oder sonstige Pedaleffekte manipuliert wurden. Unser Ausgangsmaterial waren primitive Samples, die wir mit einem Diktiergerät z.B. von Sperrmüllabholungen oder auch aus dem Fernsehen oder Radio aufgenommen hatten. Das Diktiergerät war zwar nur mono, war aber geschwindigkeitsverstellbar, wodurch wir das Material pitchen konnten. Die Sounds, die wir verwenden wollten, überspielten wir dann auf Cassetten und Tonbänder, wobei wir Loops mühselig durch vielfaches Kopieren der selben Sounds manuell herstellen mußten. Analog total! Außerdem verwendeten wir analoge Drummachines, E-Gitarren, Bass und Violine. Aufgenommen wurde das dann auf einem Fostex-8-Spur-Gerät, das nur eine Bandbreite von einem Viertel-Zoll hatte. Dadurch war das Gerät zwar gut zu transportieren, aber die Aufnahmen verloren an Dynamik, verglichen mit einer professionelleren Maschine. Abgemischt und gemastert wurden die Sachen schon digital; das begann damals gerade, Einzug in die Studios zu halten, was den Klang erheblich verbesserte, aber auch sehr teuer war. Auf Hypnotischer Existenzialismus hört man bereits einen digitalen Drumcomputer, den Drumulator, ein riesengroßes Teil, und einen polyphonen Roland-Synthesizer. Im Lauf der 80er mischten wir zunehmend elektronische Rhythmen (Sequenzer) sowie natürliche und synthetische, also digitale Geräuschkörper, in unseren Sound, verwendeten aber auch nach wie vor unsere eigenen Samples. Heutzutage kann sich jeder Musiker mit verhältnismäßig kostengünstigen Mitteln ein eigenes Homestudio einrichten. Für uns bedeutet das wesentliche Zeiteinsparungen beim Bearbeiten vom Samples, die ich mit einer digitalen Workstation hier in London abmische, mit der ich auch Analogaufnahmen digital verarbeiten kann, und die bekommt Ragnar dann als Einzelspuren gebrannt. Er ist Toningenieur und arbeitet in seinem Berliner Studio an den Tracks, die er mir auf CD-R zuschickt oder in virtuellen Lagerräumen im Cyberspace parkt. Ich sichte das Material, wähle aus, und per Telefon und E-mail betreiben wir Ideenaustausch, um die Stücke voran zu bringen. Das ist natürlich umständlich, und mein Laptop ist völlig veraltet, sodass das alles moderner klingt, als es ist – gegenwärtig ist noch alles offen, weil wir ja auch noch andere Verpflichtungen haben und uns nur selten treffen können.
Wie sieht dein Verhältnis zu deinen Industrial-Mitpionieren aus?
Leider habe ich den Kontakt zu meinen alten Mitstreitern fast vollständig verloren. Die Tatsache, dass viele der damaligen Musiker und Künstler, mit denen ich in den 80ern Kontakt hatte, schon vor Jahren London bzw. Großbritannien verlassen haben, hilft natürlich wenig. Dazu kommt, dass ich es bevorzuge, eher zurückgezogen zu leben, und es auch aus diesem Grund schwieriger ist, neue Leute kennen zu lernen. Andererseits versuche ich zumindest, Kontakte zu alten und neuen Freunden und Bekannten per e-mail aufrecht zu halten. Wenn meine Finanzen nicht so negativ aussehen würden, wäre ich schon des öfteren mal wieder in die Staaten oder auch nach Australien geflogen... Andererseits habe ich zwischenzeitlich neue, zum Teil sehr interessante Bekanntschaften mit Musikern und anderen kreativen Leuten gemacht, und bin darüber sehr froh.
Wie denkst Du über den ungebrochenen Trend, monotone Einfallslosigkeit und strukturloses Rumgelärme als Industrial Music zu bezeichnen?
Die meisten von Dir angesprochenen aktuellen Sachen finde ich ziemlich uninteressant. Leider! Es stoßen auch immer mehr Kopisten dazu, die aussageloses Krachgewirr betreiben.
Welche Musik hörst Du daheim am liebsten?
Vieles; von Klassik – Wagner, Mahler Händl, Mozart, Philip Glass ect, ect. – bis hin zu experimentellem Techno. Insgesamt kann ich aber sagen, dass ich Musik aus vielen Orientierungsrichtungen höre, entsprechend meiner Laune.
Zusätzlich zur Musik hast auch mit Video experimentiert...?
Ja, ich hatte um 1982 auch angefangen, mit Super-8-Filmen, Video- und Dia-Projektionen zu experimentieren und diese mit Soundtracks in Form von krachigen Soundscapes zu unterlegen. In England besuchte ich – mit Unterbrechungen – zwischen 1987 und 89 die St. Martin School of Arts, um Experimentalfilm zu studieren, konnte aber die Finanzierung für meinen Abschlussfilm nicht zusammen kriegen. Ärgerlich, denn es war schon ein Privileg, dort überhaupt genommen zu werden. Eigentlich nutzte ich das College hauptsächlich, um an Equipment ranzukommen. (lacht) Amüsanterweise kam ich aber nicht durch St. Martin in Kontakt mit anderen Filmleuten, sondern ausschließlich durch Freunde und Bekannte. Derek Jarman zum Beispiel lernte ich über einen gemeinsamen Londoner Freund kennen, und konnte später auch einen kleinen Nebendarstellerjob in dessen War Requiem bekommen. Am College war ich aber ein extremer Einzelgänger, nicht zuletzt weil auch mein Englisch noch nicht so gut und ich sehr schüchtern war und meine Interessengebiete auf einer anderen Ebene lagen.
Du bist auch in Full Metal Jacket zu sehen... Erzähl mal davon.
Leute von TEST DEPT. vermittelten uns kurz nach dem Umzug nach London Statistenjobs bei der Produktion von Stanley Kubrick’s Full Metal Jacket. Kubrick’s Produktionsfirma hatte eine riesige Lagerhalle in den Docklands angemietet, die damals sowieso aussahen, als hätte dort ein Bürgerkrieg stattgefunden. Und dort trafen wir dann auch noch drei Leute von LAIBACH, die ebenfalls mitmachen wollten. Da wir damals in einem besetzten Haus ohne Strom und Telefon wohnten, musste einer von uns morgens um fünf zur nächsten Telefonzelle laufen, um bei der Firma anzurufen und nachzufragen, ob aus Wettergründen überhaupt gedreht werden würde. Wenn das Wetter okay war, nahmen wir die erste U-Bahn zur Baker Street, von wo aus man uns mit Bussen raus aufs Land transportierte, wo die Aufnahmen gemacht wurden. Man wurde voll rasiert, obwohl wir nur im Hintergrund durch die Gegend joggten, bzw. Militärdrill exerzieren mussten von. Und dabei war ich seinerzeit von Bremen nach West Berlin gegangen, um mich der Bundeswehr zu entziehen. Das ging über mehrere Wochen so; Kubrick drehte wahnsinnig viel Material, von dem am Ende nur Bruchteile im fertigen Film zu sehen waren. Als Regisseur hätte ich manche der Szenen mit Sicherheit verwendet. Es waren einige Musiker bei FMJ mit dabei: Big John, der mit Angus von TEST DEPT. zusammen wohnte, und ex-SPK-Mitglied Carrel Van Bergen, waren damals bei der BAND OF HOLY JOY – für die hab ich mal einen Gig in Brighton gemischt, und wir teilten uns eine zeitlang den selben Übungsraum. Auf dem FMJ-Set habe ich auch Jason Gilliam kennen gelernt, einen Australier, der gerade von Berlin nach London gezogen war. Mit Jason arbeitete ich dann bis etwa 1989 an GERECHTIGKEITS LIGA weiter, bis er begann in elektronischere, tanzbarere Richtungen aufbrach. Wenn man sich Full Metal Jacket ansieht, kann man im Ausbildungscamp im Hintergrund zahlreiche Experimentalmusiker schwitzen sehen...
Welche Musik hat Dich früher geprägt, bzw. inspiriert?
Es waren ethnische Klänge aber auch ziemlich gegensätzliche gregorianische Chöre, die mich inspirierten... Als mir damals die erste SPK-Single Mekano von Freunden vorgespielt wurde, war ich von deren Sound sehr begeistert. Kurz darauf hörte ich die SPK-Alben Information Overload Unit und Leichenschrei, die ich für totale Klassiker hielt. Außerdem fand ich SPK's Konzept wirklich genial. Dazu kamen die ersten THROBBING GRISTLE-Alben wie z.B. The Second AnnualReport, DOA und auch Discipline, welche mit SPK’s statements nicht wirklich vergleichbar sind. Ein anderer Klassiker waren natürlich FAKTRIX aus den USA, aber auch Gruppen wie die SWELL MAPS und EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN hinterließen positive Spuren bei mir. Klassische Musik hörte ich auch, allerdings beschränkte sich das größtenteils auf Penderecki, Strawinsky und Prokofiev und einige andere. Ansonsten fällt mir augenblicklich nicht sehr viel mehr ein. Es sind seitdem schon gute zwei Jahrzehnte vergangen... Je kreativer ich mit meiner eigenen Musik wurde, desto weniger hatte ich das Verlangen, Musik von anderen Gruppen, bzw. Musik generell zu hören. Heute ist es nicht anders als es früher war: Wenn ich an Aufnahmen arbeite, habe ich weniger Verlangen, Musik zu hören. Ansonsten sind es teilweise die alten Klassiker, natürlich aber auch neues interessantes Material von „jüngeren“ Gruppen, die ich höre. Namen zu nennen wäre zu aufwendig. Der Markt ist mittlerweile ja auch relativ gesättigt mit ziemlich guten aber leider auch miesen Bands/Musikern, sodass ich zu einem großen Teil den Überblick verloren habe! Andererseits habe ich angefangen, mich doch mehr für klassische Musik zu interessieren, wie ich bereits erwähnt habe.
In Deiner Musik erzeugst Du dunkle Atmosphären mit schamanischen Rhythmen, Samples von Naturvölkern, enochischen Gesängen, etc. – Was inspiriert Dich zu solchen Kompositionen und woher stammt Dein Interesse an Magie & Mystik?
Gegen 1983 begann ich mich für ethnische Songstrukturen aus aller Welt und „tribal“-Rhythmen zu interessieren. Die Herkunft, bzw. der Ursprung sogenannter „primitiver“ Musik ist ja die Stammeskultur. Zur selben Zeit las ich Mircea Eliade’s Buch über Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, welches mich in meiner Absicht bestärkte, vermehrt mit diesen Elementen zu arbeiten und sie in meine Musik zu integrieren. Ich empfand damals ein starkes kreatives Bedürfnis, eine Komposition zu erschaffen, die einen Teil der menschlichen Evolution symbolisierte, und verwendete dazu neben den ethnischen Samples und archaischen Rhythmen auch atmosphärische Sounds und düstere Industrialklänge. Sozusagen z.b. die akustische Version dessen, was H.R. Giger auf optische Weise mit seinem Necronomicon angestellt hatte. Zum Thema Magie: Zu der Zeit hatte ich mir das original(?) Necronomicon geliehen, an dem ich aber bald das Interesse verlor. Eine Mitbewohnerin, die das Buch entdeckte – und überzeugte Christin war – bekam einen Riesenschreck und verlangte, ich solle es innerhalb von 24 Stunden aus dem Haus schaffen- was mich extrem amüsierte... Zumindest bin ich durch dieses Buch später auf H.R. Giger aufmerksam geworden, mit dessen Arbeit ich wesentlich mehr anfangen konnte. Durch die weitreichende, internationale Korrespondenz, in die ich zunehmend verwickelt wurde, nachdem in einigen Zines Artikel und Rezensionen über GERECHTIGKEITS LIGA erschienen waren, flatterte mir allerdings manch interessantes ins Haus, z.B. Post vom „World Satanic Network“...
Hast Du religiöse/spirituelle Ansichten, und wenn ja, welche?
Ich habe mich im Lauf der Jahre mit verschiedenen spirituellen Themen beschäftigt, diverse Bücher darüber gelesen, und hatte u.a. im damaligen West-Berlin okkulte Erlebnisse, denn gerade dort manifestierten sich einige der negativsten Energien, die zum Teil durch die geografische Isolation entstanden. Übrigens möchte ich hier bitte nicht missverstanden werden: Ich assoziiere mit dem Begriff okkult in keinster weise etwas negatives. Jedenfalls blieb es nicht aus, dass sich einige okkulte Strömungen in meiner Musik manifestierten. Ein Beispiel dafür war ein Compilation-Projekt,das von CLUB MORAL zusammengestellt wurde. Der Titel dieses Tapes, welche 1986 als limitierte Auflage von 500 nummerierten Exemplaren veröffentlicht wurde, war 19Keys/19Bands. Thematisch behandelte die Compilation die 19 enochischen Schlüssel oder Anrufungen, und jeder teilnehmende Musiker bzw. Projekt erhielt einen der Schlüssel, welcher dann als chant oder gesprochen in das jeweilige Musikstück integriert werden sollte. Das war die Vorraussetzung zur Teilnahme an der Compilation! Die enochische Sprache wurde das erste mal von John Dee und Edward Kelley im 16. Jahrhundert niedergeschrieben, hat ein eigenes Alphabet und eine eigene Syntax. Es hat den Ruf, Wahnsinn und möglicherweise Tod für diejenigen zu bringen, die sich nicht für das Ritual vorbereitet haben – Die GERECHTIGKEITS LIGA erhielt den 14. Schlüssel, den ich in enochisch rezitierte. Der Einfachheit halber hier die englische Übersetzung:
O you sons of fury, the daughters of the just, which sit upon 24 seats, vexing all creatures of the earth with age, which have under you 1663: behold the voice of god, the promise of him which is called amongst you Fury or Extreme Justice. Move therefore and show yourselves: open the mysteries of your own creation: be friendly unto me: for Iam the servant of the same your god, the true worshipper of the highest.
Rückblickend ein wirklich sehr interessantes Projekt!
Zufall ist ein Konzept, dem ich nicht vertraue. Man sollte die Welt als ein Netz aus vielfach verknüpften Geschehnissen (und Geschichten) betrachten.
Es war lange ruhig um GERECHTIGKEITS LIGA. wie kam es, dass nach jahrelanger Pause wieder Stücke erscheinen, bzw. das 80er-Jahre-Material wiederveröffentlicht
wurde?
Im Jahr 2001 wurde ich von Stefan Schwanke, der die Ironflame- Infowebseite betreibt, gefragt, ob ich Interesse hätte, einen exklusiven GERECHTIGKEITS LIGA-Track für seine geplante Boxset-compilation Statement 1961 aufzunehmen. Da ich schon seit längerer Zeit mit dem Gedanken gespielt hatte, neues G.L.-Material zu veröffentlichen, kam mir dieses Angebot sehr gelegen. Außerdem gefiel mir die Thematik des Projekts, da es um den Aufbau und den Fall der Berliner Mauer ging, und ich in meinen jüngeren Jahren ja
für kurze Zeit in West-Berlin gelebt hatte. Anlässlich der Veröffentlichung der Compilation im Juni 2004 gab es einen Konzertabend in Berlin, auf dem ich neben anderen Künstlern wie SCHLOSS TEGAL, CLUB MORAL, C O CASPAR, ect..., auch auftrat. Statement 1961 ist eines der besten Kompilationsprojekte, an denen ich in meiner musikalischen Karriere unter dem Namen GERECHTIGKEITS LIGA einen Track veröffentlicht habe. Diese Veröffentlichung ebnete mir wieder den Weg in die Industrial-„Scene“, welche sich jedoch leider in mancher Hinsicht nicht unbedingt zum Besseren entwickelt hat...Andererseits sind durch die Entstehung des Industrial viele andere Musiksubkategorien entstanden, von denen manche wirklich in vieler Hinsicht faszinierend sind. Aber noch mal kurz zum eigentlichen Thema:
Am Konzertabend in Berlin wurde ich von einigen alten Bekannten wie Graf Haufen, aber auch von anderen netten Besuchern angesprochen. Einer von diesen war Lerry Dimitrow, der kurze Zeit später sein eigenes Label Isegrimm Records gründete und darauf meine erste 12" The Games Must Go On, sowie das Album Hypnotischer Existenzialismus, welches 1985 auf SPK's label Side Effects, (in den USA auf Themidor) erschienen war, plus sieben Live-Tracks aus NYC, in Form einer Digibox-CD veröffentlichte.
Welche außermusikalischen Themen und Einflüsse bestimmen die Arbeitsweise und Inhalte von GERECHTIGKEITS LIGA?
In den Anfangsjahren von G.L. bewirkte die Tatsache, dass wir uns im kalten Krieg befanden und Westdeutschland geographisch gesehen an der „Front“ lag, eine unbeschreiblich beklemmende, nervöse und fast schöne apokalyptische Stimmung bzw. Atmosphäre, die wohl auch stark das rege Treiben der damaligen atonalen Künstler beeinflusste und auf subtile Weise bestimmte. Auch dass wir in dem erwähnten Bunker probten, erscheint mir rückblickend als passende Ironie; dieses Ambiente verstärkte die allgegenwärtige Paranoia und Untergangsangst noch – oder vielleicht lag’s auch am Speed... Jedenfalls war ich manchmal nach den Fernsehnachrichten überzeugt, dass die Welt am nächsten Tag untergehen würde, und war deswegen hin und wieder völlig fertig; am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Ebenso hatte ich mich schon in jungen Jahren über die KZs des „Dritten Reichs“ informiert – was sich ja auch deutlich an unserem ersten Tape zeigte. Meine Lieblingsregisseure waren damals (und sind zum Teil auch heute noch) David Lynch – Eraserhead hinterließ bei mir extrem starke Eindrücke; Krysztof Kieslowski, Lars von Trier, David Cronenberg, die Coen Brothers, Tarkovsky und viele andere, die damals schon zu unbekannt waren, als dass ich mich heute noch erinnern würde. Im visuellen Bereich natürlich der bereits erwähnte H.R. Giger – und natürlich Dalí. Artauds Theater der Grausamkeiten hat mich immer fasziniert, aber ich bin bisher noch nicht tiefer darin eingestiegen.
Kommen wir zu Büchern...
Meine literarischen Einflüsse sind sehr breitgefächert und vielschichtig. In jungen Jahren war ich großer Burroughs-Fan (und hatte ja auch das große Glück, ihn kennen zu lernen); darüber hinaus las ich u.a. Georges Bataille, Marquis deSade, Aleister Crowley, Joseph Conrad, E.M. Cioran, und J.G. Ballard natürlich, nicht zu vergessen. Es gibt da noch soviel mehr Autoren... In den 90ern las ich u.a. Bukowski, aber das wohl eher, da ich ein Alkohol Problem hatte...
Wie kam es zu der Begegnung mit William S. Burroughs?
Während meiner ersten USA-Tour 1984 hatte ich die große Ehre, während eines zweitägigen Aufenthalts in Lawrence/Kansas Bill Burroughs zu treffen. Ich war mit einem anderen Bill verabredet, der die (nicht mehr existente) Video-Firma Fresh Sounds betrieb. Ich war von ihm eingeladen worden, die zwei Tage bei ihm zu verbringen und mit ihm einen Exklusivvertrag für Nordamerika für das G.L.-Videomaterial zu machen – und um ein bisschen Erholung vom Tourneeplan zu haben. Es stellte sich heraus, dass er ein guter Freund von Burroughs war, und am nächsten Tag wurden wir zum Schiessen auf Burroughs’ Grundstück draußen auf dem Land eingeladen! Also fuhren wir am nächsten Morgen zu dem Haus, in dem Burroughs zu der Zeit lebte. Ich sprang aus dem Auto und klopfte, und einige Zeit später wurde sie von einem ziemlich dünnen älteren Mann geöffnet. Ich erkannte fast sofort die Gesichtszüge und konnte gar nicht glauben, dass ich ihm gegenüberstand, seine Hand schüttelte und wir uns vorgestellt wurden – hier muss ich erwähnen, dass mein Englisch zu der Zeit fürchterlich war, und die Konversation von hier an sehr einfach gehalten war. Bill B. stellte mir seinen Boyfriend vor, sammelte seine Waffenkoffer zusammen, und Minuten später fand ich mich auf dem Rücksitz eines Wagens wieder, auf dem Weg zum Grundstück, mit einem kurzen Halt zum einkaufen von Munition für Bill’s Pistolen; er benutzte nur Handfeuerwaffen. Als wir schließlich bei der Hütte, die sich mitten im Nirgendwo befand, ankamen, verbrachten wir einen großartigen Nachmittag mit dem Durchprobieren von Bill’s besten Schießeisen. Runde um Runde ohne Ende haben wir geschossen; Zielübungen unter blauem Himmel, und natürlich die Freude der Tatsache, in Gesellschaft eines der einflussreichsten Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts zu sein – das war einmalig!
Etwa ein Jahr später traf ich Graeme Revell von SPK und erzählte ihm von meinem Treffen mit Burroughs. Graeme erzählte mir, dass sie ein paar Jahre zuvor auf einer ihrer US-Tourneen exakt dasselbe Treffen erlebt hatten: Sie hatten auch in Lawrence halt gemacht, einen Video-Deal mit Fresh Sounds unterschrieben, Burroughs getroffen und sind mit ihm Schießen gegangen...
War Burroughs noch auf Drogen?
Nein, keine harten Sachen mehr. Ich fragte ihn, ob er noch Drogen nehmen würde, aber außer ab und zu Gras hat er wohl nichts zu sich genommen.
Welche Rolle spielten Drogen bei G.L.?
Um 1983/84 experimentierten wir auch mit psychedelischen Drogen: hauptsächlich mit Pilzen, die man im Herbst auf den norddeutschen Wiesen sammeln konnte, aber auch mit Acid. Die Einblicke, die diese Substanzen ermöglichen können (und ich betone: können!), waren schon sehr aufschlussreich, interessant und in kreativer Hinsicht auch nützlich. Die meisten und besten Ideen bekomme ich durch anregende Gespräche mit Freunden und Kollegen. Der Großteil meiner Inspiration kommt allerdings aus meiner „inneren Dunkelheit“. Ich lebe sehr zurückgezogen, was sich vielleicht seltsam anhört, wenn man bedenkt, dass London eine Metropole ist. Aber gerade in Gegenden, in denen menschliches Massentreiben herrscht, kann man sich am einsamsten fühlen – und wohl auch eher Misanthrop werden.
Würdest Du Dich als Misanthrop bezeichnen?
Teilweise schon, ja. Mit Sicherheit. Mir kommen zwar auch Ideen, wenn ich raus muss; unterwegs bin. Sie kommen ganz plötzlich aus dem Nichts, und ich versuche mir anzugewöhnen, sie mit einem Diktiergerät fest zu halten. Oft beziehe ich auch Ideen aus meinen Psycho-Träumen, kurz nach dem Aufwachen. Oder auch zu verschrobenen Tageszeiten, frühmorgens oder spät nachts.
Was siehst Du für Dich, bzw. Gerechtigkeitsliga in der Zukunft?
Zwischenzeitlich sind neue Tracks auf Compilation CDs erschienen; eine DVD mit den Videos aus den 80igern, auf der auch ein paar der lange verschollenen Bunkertapes veröffentlicht werden sollen, ist in Planung und soll in naher Zukunft bei Vinyl On Demand erscheinen. Außerdem ist ein neues Album in Arbeit...und möglicherweise eine portable Soundskulptur. Über das neue Album will ich noch nicht allzu viel verraten. Wir haben einige Sounds und neue Strukturen entwickelt, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob es ein „Konzeptalbum“ werden wird – wie es sich bei Hypnotischer Existenzialismus schließlich ergab, weil wir einzeln ins Studio gegangen sind und das Material individuell entwickelten, bevor wir daraus das Album zusammenstellten. Und wie erwähnt, ist es ein sehr langwieriger Prozess, die Stücke ping-pong-mäßig zwischen London und Berlin hin- und her zu schicken. Es kann also gut sein, dass es bis 2008 dauern könnte, bis ein neues Vollzeitalbum erscheinen kann. Möglicherweise wird vorher eine Single veröffentlicht werden.
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